Auf diesem Blog dreht es sich rund um Bücher, Rezensionen, Buchvorstellungen, Interviews und das Kochen von leckeren Speisen aus Topf und Pfanne.

Messe-Interview mit Titus Müller

Ich muss gestehen: Bis Anfang des Jahres war mir Titus Müller überhaupt kein Begriff. Dann hielt ich ein Vorab-Exemplar von „Der Tag X“ in den Händen und fing an zu lesen. Zur Leipziger Buchmesse durfte ich Titus Müller dann persönlich kennenlernen und meine neugierigen Fragen an ihn loswerden. Unser gemeinsames Interview könnt ihr hier nachlesen:

Katja: Mit 24 hast du deinen ersten Roman – einen historischen Roman mit dem Titel „Der Kalligraph des Bischofs“ veröffentlicht. Warum hast du dich für das Genre „Historische Romane“ entschieden und nicht für – zum Beispiel – Fantasyromane? Gab es bei dir schon immer ein Faible für Geschichte?

Titus: Ich finde es hochspannend, wie die Menschen vor 50, 100 oder 500 Jahren gelebt, geliebt und gedacht haben. Jedes Zeitzeugnis, sei es ein Gegenstand, ein Brief oder ein Kleidungsstück, fasziniert mich. Und nicht zuletzt hilft mir der Blick in die Geschichte, mein Leben heute mit neuen Augen zu sehen.

Katja: In deinem neuen Roman „Der Tag X“ arbeitest du den Aufstand am 17. Juni 1953 in Halle und Berlin auf, umwebst ihn mit einer faszinierenden Geschichte um die junge Christin Nele und den Uhrmacher Wolf.  Dabei kommen auch viele politische Ränkespiele ans Licht, die Machenschaften der Machthaber und die Unterdrückung der Bürger.

Titus: Ich konnte die Geschichte nicht verständlich erzählen, ohne Stalin, Adenauer, Churchill und Beria auftreten zu lassen. Aber das sind für mich keine trockenen Zugaben, sondern ebenfalls farbige, starke Charaktere, die hier wirken. So wie es wohl auch in der wirklichen Geschichte war.

Im Gespräch auf der Leipziger Buchmesse

Katja: Du selbst bist Jahrgang 1977, also mehr als 20 Jahre nach denen von ihnen geschilderten Ereignissen geboren. Wie bist du überhaupt auf dieses Thema gekommen? Gab es einen Anstoß von außen?

Titus: Ich bin in der DDR aufgewachsen. Obwohl ich ein guter Schüler war, war ich als Pastorensohn unserer Klassenlehrerin suspekt. Morgens war oft eine Diskussion über Politisches angesetzt. Meldete ich mich, sah sie durch mich hindurch, als wäre ich nicht da.

Mein Freund Mathias, der Pionierleiter war, musste einmal meinen Schulranzen durchsuchen, er kam mit zwei starken Jungs, als fürchte er, ich könnte mich wehren, und entschuldige sich mit ernstem Gesicht, bevor er zur Tat schritt. Wir waren danach weiter befreundet, ich wusste ja, er tat nur, was von ihm erwartet wurde. Aber wir sprachen nie über die Sache.

Einmal habe ich erlebt, wie Pionierfunktionäre, Lehrer und Eltern zu Gericht saßen über einen Mitschüler aus meiner Klasse, der in der Kaufhalle etwas gestohlen hatte. Unser Klassenraum war zum Gerichtssaal umgebaut: Vorn saßen die Erwachsenen wie Richter und Schöffen, der Angeklagte hatte in der Mitte des Raumes allein an einem Tisch zu sitzen, wir anderen saßen als Publikum hinten und an den Rändern. Ich erinnere mich an den Jungen als starken Kerl, vor dem wir alle Respekt hatten. Die Erwachsenen nahmen ihn aber derart in die Mangel, dass er am Ende mit tränenüberströmtem Gesicht dasaß. Ihrem scharfen Verhör war er nicht gewachsen gewesen.

Ein Schulgericht wie zu Beginn meines Romans ist mir erspart geblieben, das war vor meiner Zeit. Aber ich kann mich in diese Situation hineinfühlen. Ich kenne die Beklommenheit in einem Land mit Meinungsdiktatur. In unserem Klassenzimmer hing ein Bild von Erich Honecker. Wer einen Witz über ihn machte, musste sofort zum Direktor und hatte mit ernsten Folgen zu rechnen. Vieles habe ich damals aber nicht gewusst, zum Beispiel, dass man meinen Eltern gedroht hat, ihnen uns Kinder wegzunehmen und uns in ein Erziehungsheim zu stecken. Wir gehörten zu einer Freikirche, die samstags Gottesdienst feierte, und so kam ich am Samstag nicht zur Schule. Obwohl ich den Stoff immer nachgeholt habe und gute Noten hatte, war die Sache ein solches Ärgernis für die Schulleitung, dass sie meine Eltern mit dem Schlimmsten einzuschüchtern versuchte, was man Eltern androhen kann.

Katja: Wie muss ich mir die Recherche zu dem Buch vorstellen? Wie viel Zeit hast du dafür aufgewendet, aufwenden müssen? Hast du mit Zeitzeugen über diese Zeit gesprochen?

Titus: Zuerst recherchiere ich immer etwa ein Vierteljahr. Dann beginne ich mit dem Schreiben, stoße dabei aber wieder auf neue Fragen und recherchiere erneut. Am Ende wird es wohl so ein halbes Jahr gewesen sein. Diesmal bedeutete das für mich unter anderem, das Gefängnis in Halle zu besuchen, den Roten Ochsen, mich im Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt in Merseburg in alte Polizeiakten zu vertiefen, und mir von Heinrich Peyers damals verwendete Technologien der Geheimdienste erklären zu lassen. Natürlich habe ich auch viel gelesen und mit Zeitzeugen gesprochen.

Katja: Auf deiner Homepage schreibst du »Ich tauche beim Schreiben in die Lebenswelt zurückliegender Jahrhunderte ein. Durch diese Reisen …. sehe ich den eigenen Alltag mit neuen Augen.“ Gibt es eine Zeit, in der du gerne gelebt hättest und in welcher Zeit bist du froh, nicht gelebt zu haben?

Titus: Eigentlich finde ich alle Jahrhunderte spannend. Deshalb sind die Themen meiner Romane auch so unterschiedlich. Aber natürlich würde ich gern die Phasen von Krieg und Seuchen auslassen.

Katja: Was siehst du, wenn du in historische Zeiten eintauchst, mit anderen Augen? Über welche Errungenschaften der heutigen Zeit freust du dich und auf was könntest du verzichten?

Titus: Die Eisenbahn ist ein Muss. Und ich schätze das Kino. Ohne Computer könnte ich leben, aber meine Handschrift ist so miserabel, ich bräuchte unbedingt eine Schreibmaschine! Aber mal im Ernst: Noch in den 1950er Jahren hatten die meisten deutschen Haushalte keine Waschmaschine. Kühlschranke waren auch nicht selbstverständlich. Wir leben heute in einem Luxus, der uns kaum bewusst ist, kaufen Obst aus aller Welt ein, können uns Urlaubsreisen leisten, leben ihn Sicherheit und Frieden. Es ist wirklich schade, dass wir das so wenig schätzen.

Katja: Wenn man als Kind schon die ersten Ritterkurzgeschichten schreibt, weiß man da schon dass man unbedingt Autor sein will? Wird da der Grundstein zu einer schriftstellerischen Karriere gelegt?

Titus: Vielleicht? Ich glaube aber, dass es eher durch das Lesen passiert. Wer viel liest, lernt unbewusst das Erzählen von guten Geschichten.

Katja: In deiner Biographie steht, dass du seit dem 17. Lebensjahr täglich schreibst. Du hast  Literatur, Geschichte und Publizistik studiert; hast die Zeitschrift „Federwelt“ ins Leben gerufen und schreibst historische Romane: kam es da jemals in Frage, etwas ganz anderes zu machen? Oder war die Literatur immer ein Teil deines Lebens?

Titus: Ich habe zuerst angefangen, Deutsch und Geschichte zu studieren, um Lehrer zu werden. Aber schon während des Studiums erschienen meine ersten Romane, und sobald ich gemerkt habe, dass ich davon leben kann, habe ich den Plan fallengelassen, Lehrer zu werden.

Katja: Wie leicht lässt du Dich von Familie, deinen Lesern bzw. den sozialen Medien und dem Internet vom Schreiben abhalten? Kann man bzw. muss man das Ganze auch einmal ausblenden können?

Titus: Ich bin häufig abgelenkt, das ist wie eine Vermeidungsverhalten: Wenn es schwierig wird beim Schreiben, gucke ich erst mal, was ZEIT online Neues über das Weltgeschehen meldet. Müsste ich mir mal abgewöhnen. Meine Familie ist aber eine schöne Ablenkung. Unsere Söhne sind 2 und 3 Jahre alt. Wenn die so niedlich ins Arbeitszimmer kommen, kann ich oft gar nicht anders, als sie auf den Schoß zu nehmen und ihnen erst einmal zuzuhören. Und sie erzählen gerne und viel.

Katja: Welches ist Dein schönstes, prägendstes Erlebnis in Deiner Autorenlaufbahn?

Titus: Es gab tolle Sachen, zum Beispiel meine Lesereise nach Portugal, als dort die „Jesuitin von Lissabon“ in einem großen Verlag erschien und ich in der Hotellobby Fernseh- und Radiointerviews geben durfte. Aber der schönste Zauber ist eigentlich etwas Stilles, das ich allein erlebe: Wenn ein neues Buch erscheint und die ersten Exemplare mit der Post kommen. Das Buch aufzuschlagen und die druckfrischen Seiten zu lesen, ist durch nichts zu überbieten.

Katja: Könntest Du Dir vorstellen ein Buch mit einer Kollegin/einem Kollegen zu schreiben?

Titus: Ich habe als Ghostwriter mit Samuel Koch das Buch „Rolle vorwärts“ geschrieben. Und früher haben wir zu zwölft Romane verfasst, „Die sieben Häupter“, „Der zwölfte Tag“. Aber ich mag auch die Einsamkeit am Schreibtisch.

Katja: Und zu guter Letzt eine Frage, die jeder Autor in meinen Interviews gestellt bekommt:

Auf meinem Blog geht es ja nicht nur um Bücher sondern auch um mein zweites Hobby, das Kochen und Backen. Hast Du ein Lieblingsrezept, welches Du mit mir und meinen Lesern teilen möchtest?

Titus: Das Gericht heißt bei uns „Schwemmklößchen“. Milch und Butter in einen Topf geben (ca. 2 Tassen Milch und 2 gehäufte EL Butter). Wenn es kocht, Mehl hineingeben, bis ein Kloß entsteht. Etwas abkühlen lassen, ein Ei hineinschlagen, würzen mit Salz und Muskat und gut durchrühren. Von dieser Masse mit einem Esslöffel Portionen nehmen und sie in die kochende Suppe (z.B. grüne Erbsen) gleiten lassen. Kurz aufkochen und mind. 10 Minuten ziehen lassen.

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