Wenn man mit dem Virus Motorrad infiziert ist, kommt man eigentlich an der Marke Harley Davidson nicht vorbei. Die wohl bekannteste Motorradmarke der Welt hält keine Verkaufsrekorde – das machen Honda und Konsorten – sie gewinnen weder Superbike noch Rallye Events und doch kennt sie jeder.
Bei der seit 1903 existierenden Amerikanischen Marke dreht sich seit 1909 alles um Zweizylinder V-Motoren, die mit ihrem markanten Klang Generationen von Motorradfahrern begeistern.
So verwundert es nicht, dass der Einladung zu den 2019er Harley Days in der „Rinne“ Dresden wieder hunderte Biker folgten. Die Veranstaltung bot mit Livebands, leckerem Essen, Treffen der HOG (Harley Owners Group), Verkaufs- und Veredelungsanbietern ein buntes Treiben. Zudem wurden die Modelle des Jahrgangs 2019 vorgestellt und nicht wenige konnten Probegefahren werden.
Ich habe nun seit 6 Jahren den Motorradführerschein, saß bisher aber noch kein einziges Mal auf einer Harley – das wollte ich heute ändern.
Gemeinhin gelten die Motorräder aufgrund ihres Gewichts als robust, aber grobschlächtig, ihr Fahrverhalten als träge und gemütlich.
Die Sportster mit ihrem 1202ccm Motor strahlt das so gar nicht aus und leistet doch „nur“ 67PS. Viel wichtiger ist aber das Drehmoment und hier heißt die magische Zahl 96Nm. Doch grau ist alle Theorie. Bei der ersten Probefahrt musste sich die 1200 XL Roadster mit ihrem weißen Tank beweisen.
Eines fiel mir natürlich sofort auf: Alles wirkt groß, schwer, erwachsen – aber eben auch grobschlächtig. Der Schalthebel sieht aus wie aus dem ganzen gefeilt, die chromglänzenden Auspuffrohre sind unterarmdick, die Sitzposition ist tendenziell sportlich, aber irgendwie doch eher gemütlich. Ist der Motor erst mal gestartet erfüllt ein tiefes Bollern die Luft, die Maschine schüttelt sich und beim Piloten stellt sich ein breites Grinsen ein.
Mit kalten Reifen zuckt schon bei leicht übermotiviertem Gas geben gern mal das Heck – nicht gefährlich, aber man merkt schnell, dass das Drehmoment gewaltig ist. Trotzdem enttäuschte mich die Sportster – bis dahin mein favorisiertes Modell – alles war schwergängig, träge und so gar nicht sportlich.
Als wir von der Probefahrt zurückkamen, dauerte es nicht mehr lang und die große Biker Parade setzte sich in Bewegung. Etwa 500 Motorräder, die meisten natürlich Harley Davidson, machten sich auf die knapp 30km lange Tour. Das ganze hatte starken Show-und-Shine Charakter, ging es über die großen „Boulevards“ der Stadt. Es dauerte 10 Minuten, bis das letzte Fahrzeug auf die Reise ging und etwa 1 Stunde bis der Tross wieder das Festgelände erreichte.
Gegen 13Uhr stand dann auch gleich meine zweite Probefahrt an – die senffarbene, pardon Rugged Gold Denim, Softtail Street Bob hatte es mir angetan.
Mit dem 2018 neu eingeführten 107 Kubikzoll großen Motor (etwa 1,75l Hubraum) standen knapp 90PS, aber dafür 145Nm zur Verfügung. Das ist doch mal eine Ansage und sorgte in der ersten engen Kurve für einen kurzzeitig rutschenden Hinterreifen nebst breitem Grinsen beim Fahrer. Obwohl dieses ergonomisch auf gemütliches Cruisen ausgelegte Gerät nur knapp die 300kg Marke verfehlt ging es mehr als deutlich vorwärts. Überraschend viel und für mich völlig ausreichende Schräglagenfreiheit trafen beinahe spielerisches Handling und eine saubequeme Sitzposition in der Ledermulde.
Bis hierhin gut, aber durch den Motor krass. Der Guide führte die Gruppe erneut vom Ostragehege in Richtung Löbtau, dann die Coventrystraße einmal hoch und wieder runter. Beim kleinen Abstecher neben den Verladebahnhof Friedrichstadt konnte jeder dann mal den Gasgriff kräftig auswringen. Die 700m reichten locker um die Harley auf 160km/h zu bringen – ohne dass der Motor sich allzu bemüht anfühlte. Noch im vierten Gang war dann die Gerade zu Ende – der Vortrieb noch lange nicht. Mit einem sehr breiten Grinsen ging es dann zurück – nebenbei bemerkt war die Geräuschkulisse zwar sehr männlich, aber nie übermäßig laut.
Nachdem die Zweiräder wieder in Reih und Glied standen ging das zweitwichtigste beim Motorradfahren los – das Benzin quatschen (also das „Seemannsgarn“ der Biker). Jung und Alt, in T-Shirt oder Leder werteten die Tour aus.
Da für 14Uhr noch einige wenige Maschinen keine Fahrer hatten, entschloss ich mich spontan zu einer dritten Runde.
Diesmal wartete einer der größten Serienmotoren auf mich, der 114ci (knapp 1,9l) Milwaukee-Eight mit etwas über 90PS und nochmal zwei Hand voll mehr Newtonmeter. Verpackt war dieser Motor in dem über 300kg schweren Gerät mit dem bezeichnenden Namen Fat Boy. Mit einem 24cm breiten Hinterreifen, einem 16cm breiten vorderen Pendant [2104, 2105], beide auf einer fetten gefrästen Alu-Scheibenfelge, steht dieses Ungetüm brachial da. Wie wird sich ein derartiges Gerät fahren? Zunächst einmal sehr bequem – die Sitzposition kann einem auch für mehrere 100km gefallen. Lässig schluckt dieses muskulöse Urvieh Bodenwellen und fährt stoisch geradeaus [2107]. Ein bisschen zu sehr, denn zu jeder Kurvenfahrt muss der fette Junge mit Nachdruck überredet werden.
Der mächtige Motor hat leichtes Spiel und so stehen am Ende der 700m Geraden über 165km/h auf dem Tacho. Die Trittbretter habe ich übrigens auch in den Kreisverkehren nicht schleifen lassen – auch hier ist die Schräglagenfreiheit besser als der Ruf.
In einem Punkt musste ich meine Meinung bezüglich Harley Davidson überdenken. Nicht die Leistung, auch wenn es schon ziemlich krass war. Die Verarbeitung – naja, meine mittelmäßigen Erwartungen wurden erfüllt, gerade bei den letzten beiden Modellen übertroffen. Was aber die technische Ausstattung angeht, da stehen dort keine Dinosaurier. LED Scheinwerfer, moderne Digitalanzeigen, schlüsselloser Betrieb, kräftig zupackende Bremsen – alles auf dem neusten Stand und dazu noch sehr schick verpackt. Dass ich mich im Modelldschungel noch nicht wirklich auskenne hat übrigens einen Vorteil – ich habe mal wieder Grund zu einer Probefahrt. Denn noch hat mich der Virus Harley nur zum Teil erwischt. Aber was nicht ist, kann ja noch werden.