Das Buch der Autorin Kati Stephans führt uns nach Ostberlin ins Jahr 1975 und wir lernen Annie und ihre Familie kennen. Annie ist die ältere Tochter von Marlies und Georg und ihr obliegt die Aufgabe, ihre Tante jeden Dienstag am Tränenpalast in der Friedrichtstraße abzuholen. Sie kommt aus Westberlin zu Besuch, bringt jedes Mal Leckereien mit und spielt Skat mit der Familie. Nur das Familienoberhaupt lässt sich nie blicken.
Wir tauchen ein in die Geschichte Ostberlins, erleben die damalige Zeit sehr real und plastisch mit. Der Zeitgeist wird mit Bespitzelung durch die Stasi, Pionieraktionen wie Altpapier sammeln, durch Tauschgeschäfte und Blick in die HO und die damals typischen Konsum-Gaststätten lebendig gemacht.
Es ist eine sehr schön erzählte Geschichte über das Glück, die Träume der anderen aber auch die eigenen Träume, über Entscheidungen die einen selbst, aber auch andere betreffen und teilweise ins Unglück stürzen.
Dabei steht die Familie beispielhaft für die, die nicht angepasst waren. Die Mutter macht Tauschgeschäfte um Veränderungen und Verbesserungen zu erwirken; der Vater wehrt sich gegen die Verstaatlichung seiner Schusterei, Annie hat sich damit abgefunden wie Kunst studieren zu können und Paula will ihren Traum vom Abitur nicht aufgeben.
Ein Buch aus dieser Zeit zu schreiben stelle ich mir sehr schwierig vor. Zumal die Autorin sich an den Fall der Mauer nur vage erinnern kann, da sie noch sehr jung war. Also gehe ich mal stark davon aus, dass sie die Zeit damals gar nicht miterlebt hat, nicht wirklich nachvollziehen kann was damals alles passiert ist und wie alles war.
Ich auch nicht – ich wurde in dem Jahr geboren, in dem das Buch spielt. Ich weiß aus Erzählungen viel über die damalige Zeit, über die Stasi zum Beispiel und über die Spitzeleien. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie es für mich in der Schule war, wie ich die Zeit als Jung- und Thälmannpionier verlebt und auch genossen habe. Bei uns war immer was los, wir hatten immer Aktivitäten und AGs, in denen wir die Nachmittage verbrachten.
Es gab auch schöne Zeiten – und das fehlt mir hier in dem Buch. Hier wird sich einmal mehr auf das Thema Stasi und Verzicht eingeschossen. Es gab nicht nur das.
Die Figuren sind fein charakterisiert und handeln größtenteils recht nachvollziehbar. Wobei mir der Entschluss Annies dann zu schnell, zu abrupt kann und nicht durchdacht wirkte.
Die Szene im dunklen Hinterhof war packend geschrieben, spannend und ich muss zugeben, das sich mein Puls doch ganz schön erhöht hat in dem Moment.
Alles in allem ist es eine Geschichte, mit der ich gut leben kann. Das zweite Buch der Autorin, dass ich gerade durch Stöbern entdeckt habe, heißt „Aussicht auf ein neues Morgen“ und ist direkt auf meiner Wunschliste gelandet. Es wird am 25.06.2024 erscheinen.
Dieses Buch bekommt 3 ½ Sterne von mir, es ist noch viel Luft nach oben, dennoch habe ich das Lesen genossen.
Daten:
Autor: Kati Stephan
Titel: Mauerträume: Eine Liebe, die keine Grenzen kennt
Herausgeber: HarperCollins Taschenbuch (Dezember 2023)
Taschenbuch: 320 Seiten
ISBN: 978-3365004692