Meine Autorin der Woche ist diesmal eine ganz besondere Frau. Eine Frau, deren Bücher mich durch meine Kinder- und Jugendzeit begleitet haben. Bücher, die ich hüte wie einen großen Schatz.
Als ich in diesem Jahr in Hamburg im Urlaub war, stieß ich im Antiquariat auf ein Buch von ihr – eine alte Ausgabe von 1928. Mit wunderschönen Zeichnungen. Während ich zögerte – es war viel Geld für diese wunderschöne Ausgabe – war sich Markus sofort sicher „Das kaufen wir“. Nun gehört mir nicht nur die bekannteste Serie an sich der Autorin in altdeutscher Schrift, sondern auch ein Band ihrer zweiten, etwas weniger bekannten Serie.
Von welcher Serie, von welcher Autorin spreche ich? Die Lieblingsautorin meiner Kinderzeit war die jüdische Schriftstellerin ELSE URY und die Serie, die ich dutzende Male gelesen habe und von der ich auch hoffe, dass meine Tochter sie lesen wird heißt „Nesthäkchen“.
Aber nun zu ihr – zu Else Ury.
Geboren am 1. November 1877 als Kind jüdischer Eltern in Berlin teilte sie leider das Schicksal vieler Juden in Deutschland und starb am 13. Januar 1943 in Konzentrationslager Auschwitz.
Erst vor ein paar Jahren, als ich mich näher mit Else Ury beschäftigte, wurde ich auf diese Tatsache aufmerksam, denn in ihren Bücher beschreibt sie nicht etwa das jüdische Leben und die Traditionen, sondern lässt ihre Figuren Feiern wie Taufe, Konfirmation bzw. Kommunion und kirchliche Hochzeiten erleben. Das wichtigste Fest im Jahr ist Weihnachten. Warum sie ihre jüdischen Traditionen nicht in ihre Bücher einbaut, ist nicht überliefert. Hier gibt es nur Vermutungen – unter anderem die, das sich das einfach besser verkauft, wenn es christlich-protestantische Figuren sind.
Der Vater von Else Ury war der Berliner Tabakfabrikant Emil Ury. Mit seiner Frau Franziska hatte er insgesamt 4 Kinder. Die Ury’s galten als wohlhabend und gebildet. Während ihre beiden Brüder und ihre Schwester eine Ausbildung machten, blieb Else Ury zu Hause bei den Eltern.
1905 erschien mit „Was das Sonntagskind erlauscht“ das erste Buch von Else Ury – eine Märchensammlung. „Studierte Mädel“ war 1906 ihr zweites Buch und beinhaltete in zu der Zeit sehr aktuelles Thema. In dieser Zeit wurden die ersten Mädchen auf Universitäten zugelassen und Else Ury zeigt in ihrem Buch auf, dass ein Studium für ein Mädchen kein Grund sein muss, nicht auch sein Glück in der Ehe und mit Familie zu finden. Es war das Buch, dass Else Ury bekannt machte.
Kurz vor dem ersten Weltkrieg erschien mit „Nesthäkchen und ihre Puppen“ der erste Band der Serie, die ich so sehr als Kind geliebt habe. Insgesamt 10 Bände umfasst diese Serie, die bis 1925 geschrieben wurde und Else Ury damit zu einer der bekanntesten Autorinnen der Weimarer Zeit machten.
Annemarie Braun jedoch, die Titelheldin der Reihe, war eine Identifikationsfigur für viele Generationen heranwachsender Mädchen. In 10 Bänden erlebt der Leser, wie aus einen kleinen Mädchen eine alte Dame wird – über 70 Jahre lang begleitet man die Protagonistin
Im ersten Band, gleich zu Beginn, stellt Else Ury die Figur in direkter Ansprache vor:„Habt ihr schon mal unser Nesthäkchen gesehen? Es heißt Annemarie, ein lustiges Stubsnäschen hat unser Nesthäkchen und zwei winzige Blondzöpfchen mit großen, hellblauen Schleifen. ‚Rattenschwänze‘ nennt Bruder Hans Annemaries Zöpfe, aber die Kleine ist ungeheuer stolz auf sie. Manchmal trägt Nesthäkchen auch rosa Haarschleifen und die Rattenschwänzchen als niedliche kleine Schnecken über jedes Ohr gesteckt. Doch das kann es nicht leiden, denn die alten Haarnadeln pieken.“
Kaum zu glauben und doch verständlich, das laut Wikipedia bis zu Beginn des 21. Jahrhunderts von der Serie fast 7 Millionen Bücher verkauft wurden. Die ersten vier Bände der Reihe wurden in 6 verschiedenen Sprachen übersetzt – in niederländische, französische und englische genauso wie ins finnische, norwegische und schwedische.
1925 war die Reihe um Nesthäkchen abgeschlossen, seit 1923 schrieb Else Ury bereits an ihrer zweiten Kinderbuchreihe, genannt „Professors Zwillinge“. Diese Reihe sollte 5 Bände umfassen.
1935 – am 6. März, wurde Else Ury aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen. Dieser Ausschluss kam einem Berufsverbot gleich.
Ihre in der Weimarer Republik so große Bekanntheit und Beliebtheit konnten während des zweiten Weltkrieges die Autorin nicht schützen. Sie wurde entrechtet, am 12. Januar 1943 nach Auschwitz deportiert, wo sie nur einen Tag später in der Gaskammer ermordet wurde.
Bibliographie
Nesthäkchen-Reihe
- 1913/18 Nesthäkchen und ihre Puppen
- 1915/18 Nesthäkchens erstes Schuljahr
- 1915/21 Nesthäkchen im Kinderheim
- 1917/21 Nesthäkchen und der Weltkrieg
- 1919 Nesthäkchens Backfischzeit
- 1921 Nesthäkchen fliegt aus dem Nest
- 1923 Nesthäkchen und ihre Küken
- 1924 Nesthäkchens Jüngste
- 1924 Nesthäkchen und ihre Enkel
- 1925 Nesthäkchen im weißen Haar
Professors Zwillinge-Reihe
- 1923 Professors Zwillinge Bubi und Mädi
- 1925/26 Professors Zwillinge in der Waldschule
- 1927 Professors Zwillinge in Italien
- 1928 Professors Zwillinge im Sternenhaus
- 1929 Professors Zwillinge – Von der Schulbank ins Leben