Anne, eine der Protagonistin, hadert mit ihrem Leben und dem oftmals ohnmächtigen Kampf gegen das Elend. Sie musste England fluchtartig verlassen und setzt sich nun in Hamburg für Frauen ein und versucht ihnen ein besseres Leben zu ermöglichen. Sie engagiert sich sehr und beobachtet weiter die ersten Erfolge der Sufragetten in England. Doch sie ist nur mit ihrer Arbeit beschäftigt und vergisst sich dabei selbst.
Seite 100 „… Mit fünfzehn hinterfragt man die Eltern, sieht sie mit kritischen Augen, insbesondere den fast fremden Mann, der über das Leben der Tochter bestimmte, als kennte er sie besser als sie sich selbst.“
Helenes Wandel wird deutlich dargestellt. Sie war sicher schon immer rebellisch, hat sich aber meist mit kleinen Siegen zufriedengegeben und diese haben nur sie betroffen. Doch irgendwann hat sie erkannt, dass sie privilegiert ist und die anderen unverdient jämmerlich leben müssen.
Seite 71: „Helene krampfte ihre Hände um die Ruder, sie wusste nicht, wohin mit ihrer Wut, ihrer Energie, dem Hunger aufs Leben. Sie fühlte sich so bereit auszubrechen, aber gleichzeitig hilflos, weil sie keine Möglichkeit sah, wie sie entkommen konnte. Dabei war sie gestern noch so nah dran gewesen. … „
Seite 276: „Helene betrachtete sich im Spiegel und fragte sich, ob ihr der Spagat zwischen zwei Welten gelingen würde – der, in die sie als großbürgerliche Tochter hineingeboren worden war, und der, zu der sie sich hingezogen fühlte. Einer Welt, in der Frauen engagiert für ihre Rechte und füreinander eintraten, was in der Gesellschaft, wie sie nun mal war, nicht auf Gegenliebe stieß. Sie würde kämpfen und auf Privilegien verzichten müssen, sie würde sich zurücknehmen und die Ziele der Gemeinschaft in den Vordergrund stellen müssen.“ In dieser Rolle hat mir sehr gut gefallen, wie der Wandel dargestellt wurde und wie unerbitterlich sie gekämpft hat und auch Fehler eingestanden hat, in dem sie sich dafür entschuldigt hat.
Berthold, der Kommissar, vergeht fast am Verlust von Frau und Kind ans Watt. Er hat nur noch seine Arbeit und den Fußball im Kopf. Doch er ist unerbittlich und kämpft für die Gerechtigkeit und scheut sich nicht, auf ungerechtes hinzuweisen. Er setzt sich für seine Untergeben ein und freut sich für Erfolge mit.
Seite 83 „Dieses Verhalten, der Polizei nicht zu trauen, war Berthold nur allzu bekannt. Je niedriger der gesellschaftliche Status, desto größer das Misstrauen gegenüber dem Staat. -Die da oben- interessieren sich doch sowieso nicht für -uns da unten-, war gängige Meinung. Allerdings, korrigierte er sich im Geiste, galt das auch für die Spitze der Gesellschaft. Die Adligen und die reichsten Bürger der Stadt. Auch sie hatten die fatale Neigung, Dinge unter sich auszumachen oder unter den Teppich zu kehren, weil sie der Meinung waren, den Staat gehe ihr Leben nichts an.“
Das Buch bietet einen guten Einblick in das Elend der damaligen Zeit und den Unterschied der verschiedenen Stände. Und ist dabei sehr spannend und liefert viel Wissen rund um den Kampf für Frauenrechte. Eine klare Leseempfehlung.
Mein Dank geht an das Team von vorablesen.de, den Ullstein-Verlag und an Henrike Engel für die tollen Lesestunden.
Daten:
Autor: Henrike Engel
Titel: Die Hafenärztin – Ein Leben für die Freiheit der Frauen
Herausgeber: Ullstein Paperback (Januar 2022)
Broschiert: 464 Seiten
ISBN: 978-3864931901