Vor einigen Tagen lass ich eine Empfehlung für das zweite Buch von Susanne Abel aus der Gretchen-Reihe und es hat mich sofort fasziniert und interessiert. Ehe ich aber zum zweiten Teil greifen würde, wollte ich den ersten Teil lesen. Und so besuchte ich die Bibliothek meines Vertrauens, lieh das Buch aus und fing an zu Lesen.
Nun, nachdem ich es beendet habe, ist es sehr schwer für mich, dieses Buch zu bewerten. Auf der einen Seite habe ich es gefressen, durchgesuchtet und konnte bzw. wollte nicht aufhören darin zu lesen. Es hat mich einfach nur fasziniert.
Auf der anderen Seite aber hatte ich mit dem Buch so meine Probleme. Das eine Problem hieß Tom und war eine der Hauptfiguren des Buches. Er war mir sowas von unsympathisch, so was habe ich in einem Buch sehr selten. Er vereint in sich alle Eigenschaften, die ich bei einem Menschen absolut nicht leiden kann: Karrieresüchtig, Narzisstisch, nur mit einem Körperteil denkend, oberflächlich und dem Alkohol mehr zugeneigt als gut für ihn ist. Dazu denkt er noch, dass er sich auf Grund seiner Bekanntheit und seines Reichtums alles erlauben kann. Seine Assistentin behandelt er wie eine Sklavin, ihre Vertretung wie den letzten Dreck. Und plötzlich ein Wandel um 180 Grad? Das war ehrlich gesagt wenig glaubhaft, aber wie sollte die Geschichte sonst anders enden.
Dabei packt die Autorin in die Geschichte so viel Interessantes hinein, vermischt und verwebt Vergangenheit und Gegenwart gekonnt miteinander. So hat sie den Mut, die Flüchtlingswelle 2015 mit der Flüchtlingswelle in den letzten Tagen des zweiten Weltkriegs und der Nachkriegszeit gleichzusetzen und die Grausamkeiten gerade gegenüber Frauen und jungen Mädchen aufzuzeigen.
Sauer aufgestoßen ist mir hier, dass natürlich mal wieder eine sächsische Stadt zu ihrer unrühmlichen Bekanntheit gekommen ist. Die Autorin zeigt detailliert auf, was 2015 dort passiert ist und hinterlässt – wahrscheinlich ungewollt – den Eindruck, dass alle Sachsen so sind. NEIN. Das sind sie nicht. Definitiv. Aber leider ist hier „Sippenhaft“ angesagt.
Sie bringt das Thema der „BrownBabies“ an die Oberfläche, zeigt auf wie die Mütter aber auch die Kinder leiden mussten unter den bösartigen Verleumdungen und Vorfällen der damaligen Zeit und wie diese Kinder den Müttern weggenommen wurden. Es ist ein grausames Kapitel der Nachkriegszeit, das mir bis dato nicht bekannt war und über das ich viel gelernt habe während des Lesens.
Sie beleuchtet, aus ihrer eigenen Biographie heraus, das Thema Demenz bei Greta, Toms Mutter. Das allerdings macht sie sehr behutsam, mit klaren drastischen Worten aber ohne Greta dem Leser gegenüber der Lächerlichkeit preiszugeben. Auch bei uns in der Familie gab es bisher schon einmal das Thema Demenz und ich habe etliches wiedererkennen können bzw. müssen.
Das Ende des Buches war, meiner Meinung nach, überzuckert. Zu viel des Guten, zu viel Happy End. Hier wäre es stilvoller und besser gewesen, die Zusammenführung der Familie in den Fokus zu stellen und das ein wenig behutsamer. Menschen, die sich noch nie gesehen haben – ich glaube nicht das die sich einfach so auf Anhieb so blind verstehen und vertraut sind. Ja, da wird etwas sein, aber nicht so überspitzt und heftig.
Auf jeden Fall hätte der Schluss mit Tom, seine Offenbarung gegenüber Jenny und ihre „Überraschung“ für ihn hätten nicht sein müssen. Damit wirkte das Buch für mich überfrachtet und das Ende zu zuckrig, zu gewollt, zu sehr auf totales Happy End bedacht.
Alles in allem war es aber ein Buch, das ich auf Grund des Schreibstils und der Charaktere nicht aus der Hand legen konnte und wollte. Der Strang der Vergangenheit mit der Charakterisierung der Personen und auch dem ungeschönten Blick in die NS-Zeit und wie doch viele einfach „mitgelaufen“ sind, auch die Kinder die geblendet waren – hat mir am Besten gefallen und die meisten und sehr unterschiedlichen Emotionen in mir entfacht.
Fakt ist: es muss sich in einer Geschichte nicht alles zwangsläufig zum Guten wenden. Das wäre hier, an dieser Stelle, bei diesem Buch jedenfalls glaubhafter gewesen als dieses überzuckerte, überfrachtete Ende.
Von mir bekommt das Buch 3 ½ von 5 möglichen Sternen und nun will ich den Folgeband auf jeden Fall unbedingt noch lesen.
Daten:
Autor: Susanne Abel
Titel: Stay away from Gretchen: Eine unmögliche Liebe
Herausgeber: dtv Verlagsgesellschaft (März 2021)
Gebundene Ausgabe: 528 Seiten
ISBN: 978-3423282598